02.12.2019
Dem Allschwiler Museum an der Baslerstrasse 48 wird neues Leben eingehaucht: Aus dem ehemaligen Heimatmuseum wird in naher Zukunft ein kulturelles Mehrspartenhaus für zeitgenössische Veranstaltungen gepaart mit einer musealen Ausstellung. 2017 hat der Einwohnerrat den Startschuss gegeben – seither beschäftigen sich im Rahmen eines partizipativen Prozesses die Fachstelle Kultur, ein Steuerungsausschuss, Experten und Expertinnen einer Arbeitsgruppe sowie die «Echoräume» intensiv mit der Neukonzeption. Der Abschluss eines von der Gemeinde extern vergebenen Auftrags an das Institut für Innenarchitektur und Szenografie der FHNW zeigt nun erstmals mögliche kulturelle Veranstaltungs-Konzepte in räumlichen Planungsvarianten auf.
Professor Andreas Wenger: «Eine unserer wichtigsten Empfehlungen ist die Trennung von Sammlung und Ausstellungsbetrieb». Foto zVg
Andreas Wenger, Sie haben sich zusammen mit Ihren Studierenden des Instituts Innenarchitektur und Szenografie der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW zwischen Juni und Oktober 2019 im Auftrag der Gemeinde Allschwil intensiv Gedanken darübergemacht, wie das Raumprogramm des Allschwiler Museums in Zukunft aussehen könnte. In einem Satz: Was empfehlen Sie und die beiden mitwirkenden Studentinnen der Gemeinde Allschwil aufgrund der umfangreichen Arbeiten?
Prof. Andreas Wenger, Leiter Institut Innenarchitektur und Szenografie, der Fachhochschule Nordwestschweiz: Wir waren aufgefordert, drei Varianten zu entwickeln, mit oder ohne einen möglichen Erweiterungsbau zur Liegenschaft Baslerstrasse 48. Herausgekommen sind schliesslich vier Varianten. Unsere Empfehlung ist es, Variante 3 weiter zu verfolgen. Nur sie verspricht hinreichendes Potential, sich als kultureller Attraktor in der Gemeinde zu entfalten. Einzig diese Variante wird dem Anspruch eines Mehrspartenhauses mit Ausstellungen, vielfältigen Veranstaltungen und Führungen, Lesungen, Konzerten, Film-Programmen etc. längerfristig genügen können.
Bevor wir zu den einzelnen Ideen kommen: Welche Rahmenbedingungen beinhaltete der Auftrag der Gemeinde? Gab es räumliche oder andere Gegebenheiten, die den Auftrag massgebend beeinflussten?
Dass ein kulturelles Mehrspartenhaus «Museum Allschwil» im Hinblick auf die erhoffte und erwünschte Belebung des Dorfkerns zu sehen ist, wurde uns bereits im Briefing mitgeteilt. Wir schlagen deshalb vor, das Potential des Langen Garten zu nutzen und diesen für die ortsansässige Bevölkerung zugänglich zu machen, indem er als fussläufige Verbindung von Langartenweg und den angrenzenden Quartieren von und zur Baslerstrasse hin umgestaltet wird. Der «Lange Garten» kann ausserdem, als zeitgenössische Neuinterpretation eines historischen Bauerngartens, verschiedenen Gemeinschaften zur Kultivierung und als Ort der Begegnung zur Pflege übergeben werden.
Eine weitere Gegebenheit haben wir uns selbst auferlegt: Inklusion. Die Angebote eines Mehrspartenhauses sollten sich an alle Bevölkerungsgruppen richten: Jugendliche, Migrantinnen und Migranten, Expats, Zugezogene und die hier Geborenen jeden Alters. Ein kulturelles Mehrspartenhaus kann zudem Ausgangort und Treffpunkt für vielfältige Orts-Begehungen und Vermittlungs-Angeboten werden, die durch in Allschwil ansässigen «Expert*innen des Alltags» geführt und moderiert werden. Inklusion und Partizipation waren Anforderungen, die wir an uns selbst gestellt haben.
Welche Herausforderungen ergaben sich daraus für Sie und Ihre Studierenden?
Aus den öffentlichen Veranstaltungen und dem Echoraum sahen wir uns mit sich stark widersprechenden Anforderungen, aber auch mit Bedenken und Ängsten konfrontiert. Diese lassen sich im Wesentlichen dahingehend zusammenfassen, dass für kulturelle Veranstaltungen einerseits eine genügend grosse Anzahl Plätze zur Verfügung stehen sollen, um einen relevanten Beitrag zu einer Belebung des Ortskerns leisten zu können; andererseits waren Bedenken wegen befürchteter Lärmimmission zu vernehmen. Eine Belebung des historischen Ortskerns wird ohne Nebengeräusche der erwünschten und erhofften Wiederbelebung nicht zu erzielen sein. Belebung verursacht Geräusche. In gewisser Weise war es für die Studentinnen schwer, ihre Ideen für die Varianten frei zu entwickeln, ohne sich selbst bei der Entwicklungsarbeit von den geäusserten Ängsten und Bedenken aufhalten zu lassen.
Kurz zu den vier Varianten und deren Vor- und Nachteilen im Einzelnen, die Sie uns bitte kurz erläutern: Variante 1 würde keinen Ergänzungsbau vorsehen, was bedeutet, dass Ausstellungen und Veranstaltungen im bestehenden Gebäude stattfinden.
In dieser Variante sind saisonal entweder Ausstellungen oder Veranstaltungen möglich. Beide Aktivitäten sind in der bestehenden Liegenschaft nicht parallel leistbar. Der Nachteil ist, dass ein saisonaler Wechsel der Nutzungsbestimmung mit erheblichem Betriebsaufwand zu entsprechenden Kosten erkauft werden muss.
Variante 2 steht für Ausstellungen im Museum und Outdoor-Veranstaltungen im Garten, das heisst unter temporär bedeckten Zonen.
Wir haben diese Variante geprüft. Sommerliche Veranstaltungen in einem temporären Zelt-ähnlichen Bau würden jedoch unweigerlich zu Lärmimmissions-Klagen der Nachbarschaft führen. Dies möchten wir nicht in Kauf nehmen und haben diese Lösung deshalb selbst wieder verworfen.
Bei der Variante 3 finden Ausstellungen im Museum und die Veranstaltungen in einem zu erstellenden Erweiterungsbau statt.
Ein Erweiterungsbau für Veranstaltungen ist oberirdisch aus baurechtlichen Gründen nicht realisierbar. Wir haben deshalb den Veranstaltungsraum ins Untergeschoss verlegt, damit der Lange Garten erhalten wird. Nur diese Variante vermag die Anforderung eines unabhängig vom Ausstellungs- und Vermittlungsbetrieb funktionierenden Veranstaltungsorts mit 120 Plätzen zu erfüllen. Insofern haben wir nachgewiesen, wie die gestellten Anforderungen erfüllt werden können. Natürlich sind wir uns durchaus bewusst, dass wir der Einwohnergemeinde Allschwils mit Variante 3 zugleich die höchsten Investitionsanstrengungen vorschlagen.
Warum empfehlen Sie diese Variante?
Mit Variante 3 lässt sich ein moderner Ausstellungsbetrieb und ein professionelles Veranstaltungsprogramm zukunftsweisend realisieren. Es war das Ziel der Studie zu zeigen, wie das möglich und denkbar ist. Aus unserer Sicht ist es die Variante 3, die einen relevanten Beitrag zur Belebung des Ortskerns leisten kann. Aus unserer Sicht hat die Gemeinde selbst lediglich geringe Einflussmöglichkeiten, die Aufwertung und Belebung des historischen Ortskerns selbst aktiv zu befördern. Insofern stellt die nun zu treffende Variantenwahl aufgrund der vorliegenden Studie «Neukonzeption kulturelles Mehrspartenhaus Museum Allschwil» nicht nur eine Entscheidung für oder wider eine zukunftsweisende Investition in kulturelle Aktivitäten dar, als vielmehr ein Einvernehmen darüber, auf welche Art und Weise die Gemeinde einen Beitrag zur Aktivierung des historischen Ortskerns leisten will.
Wie gross schätzen Sie die Realisierbarkeit Ihres Favoriten ein?
Die Gemeinde Allschwil hat scheinbar keinen direkten Druck, kulturelle Aktivitäten im Ortskern selbst zu ermöglichen. Im gemeinsamen urbanisierten Raum sind ein Theater Basel, eine Fondation Beyeler, ein Kunstmuseum oder eine Kaserne, das Roxy, Z7 und das Museum BL mit öffentlichem Verkehr leicht und einfach erreichbar. Aus einem geschlossenen Ortsmuseum ein Mehrspartenhaus zu entwickeln erscheint, wie ein Hochsprung über 2 Meter 45 aus dem Stand. Ein Mehrspartenhaus im historischen Kern von Allschwil bietet der ansässigen Bevölkerung jedoch einen Ort, sich darüber auszutauschen und darüber klar zu werden, wie sie in Zukunft zusammenleben und -arbeiten möchte. Dieser Austausch kann durch Ausstellungen, vielgestaltige Veranstaltungen, Führungen, Lesungen, Konzerten, Film-Programmen usw. angeregt werden. Deshalb erscheint es uns wichtig, diesen Sprung zu wagen.
Dann wäre da noch Variante 4, sozusagen «Variante 3 reduziert» mit Platz für weniger Besucher ….
Der Sprung aus dem Stand erscheint in dieser Variante etwas weniger hoch zu sein. Fraglich ist, ob es mit Variante 4 für die ansässige Bevölkerung möglich sein wird, einen Ort des Austauschs, der Inklusion und Partizipation zu etablieren, und ob dessen Ausstattung den über 20`000 Einwohnenden längerfristig als Ort dieses Austausches genügen wird. Variante 4 erscheint auf einen ersten Blick durchaus realisierbarer als Variant 3, birgt jedoch die Gefahr, sich mittelfristig als «fauler Kompromiss» zu entpuppen. Des Problems eines geschlossenen Ortsmuseums hätte sich die Gemeinde zwar entledigt, das kleinere Mehrspartenhaus würde jedoch möglicherweise nie zu einem Ort eines wirklichen Austauschs werden können, weil die Voraussetzungen hierzu zu bescheiden ausgelegt sind.
Was wünschen Sie der Gemeinde Allschwil und deren Museum?
Entscheidend ist nicht die Frage, wie viel ein kulturelles Mehrspartenhaus welcher Art auch immer gegenwärtig kostet, als vielmehr, ob sich in der Gemeinde ein politisches Einvernehmen darüber erzielen lässt, auf welche Art und Weise sie einen gezielten Beitrag zur Aktivierung des historischen Ortskerns leisten will. Es ist der Gemeinde Allschwil deshalb zu wünschen, dass ihr ein möglichst «hoher Sprung aus dem Stand» gelingt und dass sie ihrer ansässigen Bevölkerung einen Ort schaffen will, an welchem sie sich darüber austauschen und klarwerden kann, wie sie in Zukunft zusammenleben und -arbeiten möchte. Aus unserer Sicht ist eine Investition in ein kulturelles Mehrspartenhaus der aktivste und konkreteste Beitrag, den die Gemeinde leisten kann, um im historischen Ortskern Begegnungen und Austausch zu stärken. Wenn nicht durch ein Mehrspartenhaus – wodurch denn sonst? Interview: Adrian Jeker
Der Weg zu den vier Varianten
Die verstaubte Dauerausstellung im bisherigen Heimatmuseum soll bis Ende 2022/23 in ein zeitgemässes Format überführt und das Haus für eine breitere kulturelle Nutzung inklusive Café geöffnet werden. Die Rede ist dabei von einem Mehrspartenhaus, welches z.B. auch Raum für Kinovorführungen, Lesungen oder kleine Sonderausstellungen bietet. Der Schlussbericht des Instituts enthält folgende vier Varianten möglicher kultureller Veranstaltungskonzepte der Zukunft.
Eine der wichtigsten Empfehlungen ist die Trennung von Sammlung und Ausstellungsbetrieb: Die Liegenschaft Baslerstrasse 48 – das seit 2015 geschlossene Ortsmuseum – muss von seiner Doppel-Funktion als Depot einer Sammlung und der Aufgabe als Ausstellungsort dienen zu müssen, befreit werden. Die Sammlung soll in einem, wie für Museen üblichen, anzumietenden Depot für künftige Generationen sicher aufbewahrt und gelagert werden. Aufgrund der bescheidenen Ausstellungsfläche empfiehlt das Institut Innenarchitektur und Szenografie der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW auf zeitlich beschränkte Sonderausstellungen zu setzen. Die thematischen Schwerpunkte der Ausstellungen können globale Themen sein, die spezifisch auf die Gemeinde Allschwil hin zugeschnittene Gesichtspunkte thematisieren. Die Fragestellungen der Ausstellungen sollten alle ein bis zwei Jahre wechseln, um attraktiv zu bleiben.
Als erstes hat das Institut versucht, Ausstellungs- und Veranstaltungsbetrieb in der bestehenden Liegenschaft unterzubringen und musste feststellen, dass mit den bestehenden Platzverhältnissen dies nur mit einem saisonalen Wechsel möglich ist: Ausstellungsbetrieb in der kalten Jahreshälfte, Veranstaltungen in der warmen. Dieser Wechsel führt zu erheblichem betrieblichem Aufwand.
Als zweites wurde eine temporäre Erweiterung für Veranstaltungen in der warmen Jahreszeit entwickelt, um den Ausstellungsbetrieb ganzjährig sicherstellen zu können.
Zum dritten wurde nach einer Lösung für den dauerhaften Veranstaltungsbetrieb mit 120 Plätzen gesucht und es wurde festgestellt, dass dafür der Lange Garten überbaut werden müsste. Deshalb wurde ein Erweiterungsbau entwickelt, bei dem nur ein kleiner Eingangsbereich im Garten sichtbar ist, der Veranstaltungsraum und notwendige Nebenräume im Untergeschoss untergebracht sind. Nur mit der Variante 3 kann ein, unabhängig vom Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm, funktionierender Veranstaltungsort für ca. 120 Sitzplätzen realisiert werden, der kulturell vielfältige Aktivitäten zu entfalten vermag, die Partizipation und Inklusion der Bewohner*innen Allschwils zukunftsgerichtet zum Ziel hat.
Schliesslich entwickelte das Institut, die Nutzungszuteilung umdrehend, eine vierte Variante. Der Veranstaltungsbetrieb mit lediglich 60 Plätzen wird in der bestehenden Liegenschaft untergebracht, für die Ausstellung wird ein Erweiterungsbau mit 80 m2 Grundfläche vorgesehen. Diese Variante kann die erwünschten Anforderungen eines 120 Plätze umfassenden Veranstaltungsraums nicht erfüllen. Zudem bleiben Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen insgesamt bescheiden. (ja)
Der Abschlussbericht sowie die Dokumentation betreffend der Vorstudien-Varianten des Instituts für Innenarchitektur und Szenografie der FHNW finden sich im PDF-Format zum Downloaden unter folgendem Pfad: www.allschwil.ch > Aktuelles > Gemeindeprojekte > Museum Allschwil – Neukonzeption.
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