05.10.2021
Gemeindeserie zum Seniorendienst ab 60.
Im Rahmen der Interviewserie zu Fragen rund ums Altern kommt heute der Basler Autor Urs Haldimann (Bild) zu Wort. Er ist Verfasser des erfolgreichen Buches «Glücklich pensioniert – so gelingts!» und hat sich sein Leben lang mit sozialen Fragen auseinandergesetzt. Er gibt heute Tipps, wie man die Phase im Alter zwischen 60 und 70 Jahren gut meistern kann. Das Interview hat Enrico Bonometti, Vorstandsmitglied des Seniorendienstes Allschwil/Schönenbuch, geführt.
Enrico Bonometti: Herr Haldimann, muss man davon ausgehen, dass das Gefühl des Glücklichseins zum Zeitpunkt der Pensionierung steigt oder fällt? Ändert der Zustand überhaupt mit der Pensionierung?
Urs Haldimann: Ich spreche lieber von Zufriedenheit. Gefühle des Glücks sind doch eher selten und flüchtig. Nun zur Frage: Die Pensionierung ändert bei jedem Menschen viel. Man muss viele Aspekte seines Lebens neu erfinden, und das kann zu Stress führen. Positiv ist sicher, dass man sich frei fühlt, dass man ungehindert planen kann und die Finanzeinnahmen dank AHV und PK meistens sicher sind, man den Job nicht mehr verlieren kann. Andrerseits fallen Tagesstrukturen und vielfältige soziale Kontakte weg. Dazu kommt die Frage nach einem sinnvollen Einsatz der neu gewonnenen Freizeit.
Im Interview mit Kurt Aeschbacher im Rahmen dieser Serie hat jener die These aufgestellt, dass das eigene Glück im Alter schon lange vor der Pensionierung in die Hand genommen werden muss. Teilen Sie diese Meinung?
Ja sicher. Wir alle nehmen unsere eigene Person, Träume und Charakterzüge mit in die Phase des Rentenalters. Wir sind gut beraten, uns rechtzeitig mit den zentralen Fragen zu befassen: Wie viel Rente kann ich erwarten? Was sind die Vorstellungen und Ansprüche meiner Partnerin oder meines Partners? Wie tragfähig und anregend ist mein privates Beziehungsnetz? Was gibt meinem Leben Sinn und Erfüllung?
Gibt es empirische Daten zu den Glücks- und Zufriedenheitsgefühlen Pensionierter?
Viele Pensionierte geniessen zuerst einmal die neue Freiheit. Endlich aufwachen ohne Wecker! Ein unbeschwertes Feriengefühl. Nach einigen Wochen kommt vielleicht eine Phase der Ernüchterung. Eine Studie zeigt auf, dass je nach Menschentyp verschiedene Wege zu einem zufriedenen Alter führen. Es gibt die «Weitermacher», oft Selbständige, die Freude am Beruf haben und gerne – vielleicht mit einem reduzierten Pensum – über das Pensionierungsalter hinaus berufstätig bleiben. Ähnlich sind die «Anknüpfer». Sie bringen ihre Fähigkeiten ehrenamtlich in einem Verein oder einer wohltätigen Organisation ein. Die «Kompensierer» packen etwas völlig Neues an, vertiefen sich in ein Thema, das in ihrem Berufsleben keinen Platz hatte. Und dann gibt es die Geniesser. Wahrscheinlich steckt in uns allen etwas von diesen vier Typen. Die Kunst besteht darin, für sich selbst die richtige Mischung zu finden.
Geld macht angeblich nicht glücklich. Auch die Pensionierten nicht?
Für die Zufriedenheit im Alter ist es nicht entscheidend, wie viel Geld wir haben. Sehr wichtig ist jedoch eine gesicherte Existenz. Die Renten sollten nicht gekürzt oder durch die Inflation weggefressen werden. Es ist also wichtig, dass wir nicht zur Unzeit unser trautes Heim verlassen müssen.
Wir alle kennen die Vorstellungen der jungen Berufstätigen, die grosse Pläne für die Zeit nach der Pensionierung schmieden. Aus meiner Sicht des vor Kurzem Pensionierten sind diese komplett falsch. Was sagt der Profi dazu?
Ich finde es gut, bis ins hohe Alter Träume zu haben. Träume zeigen mir, wohin es mich zieht, was meinem Leben Sinn und Würze gibt. Ich muss dann aber Träume in realisierbare Pläne umsetzen, die mit meinen körperlichen und vielleicht auch finanziellen Voraussetzungen im Einklang sind. Im Idealfall erfüllen wir uns das ganze Leben lang Träume und haben bei der Pensionierung noch einige auf der Liste.
Eheleute sorgen sich, dass bei der Pensionierung des Partners die Freiheiten eingeschränkt werden. Oft sind Frauen davon betroffen, die nach alter Schule den Haushalt schmeissen – und plötzlich ist dann der Mann im Weg. Lässt sich diese Angst begründen?
Das ist in vielen Beziehungen ein Minenfeld. Manche haushaltführende Frau möchte mit 65 auch pensioniert oder mindestens entlastet werden. Umgekehrt ist es für nicht mehr berufstätige Männer oft schwierig, einen stimmigen Platz im gemeinsamen Haushalt zu finden. Dies sollte vor der Pensionierung gemeinsam besprochen werden. Ich habe für mein Buch eine umfangreiche Liste erarbeitet, welche Routinearbeiten in einem Haushalt anfallen. Dazu gehören nicht nur Einkaufen, Kochen und der Abwasch, sondern auch die Steuererklärung und IT-Fragen. Interessant wird es, wenn wir uns mit Aufgaben befassen, die neue Herausforderungen darstellen. Warum nicht für ein paar Monate die Rollen und Aufgaben tauschen? Dabei erwerben wir neue Kompetenzen und bereichern so das Leben und die Partnerschaft.
Der Seniorendienst Allschwil/Schönenbuch will in Zukunft vermehrt Menschen rund um das Pensionierungsalter eine Plattform bieten, die Freizeit zu gestalten und sich aktiv bei der Unterstützung der noch Älteren einzubringen, also sinnvolle Tätigkeiten auszuüben. Woran mangelt es Ihrer Erfahrung nach, wenn jemand «unzufrieden pensioniert» ist?
Es lauern zwei Gefahren: Langeweile, wenn man in den Tag hineinlebt und zu wenig Herausforderung und Anregung hat. Problematisch kann auch ein übersteigerter Aktionismus sein. Es ist doch tragisch, wenn jemand seine Agenda nach der Pensionierung wie ehedem füllt, gestresst ist und mit 68 an einem Herzinfarkt stirbt. Die Kunst ist es, den richtigen Mix zwischen loslassen und sinnvoller Tätigkeit zu finden. Wir sollten offen sein für Inputs von aussen. Ihr Seniorendienst kann wahrscheinlich eine Kompetenzplattform bieten, wo sich Leute finden und gegenseitig in ihren Fähigkeiten unterstützen. Der IT-Spezialist richtet den neuen Laptop ein, der Handwerker flickt die undichte Leitung und dann trinken die Beteiligten ein Bier zusammen. Oder man nimmt an Ihren Kursen teil. Das schafft tolle Begegnungen mit anderen Menschen. Viele Frauen haben bei der Pensionierung einen Vorteil: Sie pflegen ihre privaten Netzwerke schon vor der Pensionierung.
Was empfehlen Sie als ideale Vorbereitung für Personen, die kurz vor ihrem letzten Arbeitstag stehen, um seelisch nicht abzustürzen?
Es ist ein guter Zeitpunkt, mit sich und der Umwelt ins Reine zu kommen. Sehr wichtig ist ein guter Abschied am Arbeitsplatz. Ein Bus- oder Lastwagenchauffeur hat vielleicht jahrzehntelang pünktlich und kompetent Menschen oder Material transportiert und war ein guter Kollege. Darauf darf er stolz sein. Auch von schwierigen Kollegen oder Vorgesetzten sollten wir uns sich fair verabschieden, allfälligen Ärger am Arbeitsplatz lassen. Vielen frisch Pensionierten hilft es in der ersten Phase der Pensionierung, daheim Ordnung zu schaffen, den Keller zu räumen oder Fotos zu sortieren. Das sind alles Tätigkeiten, die der Seele guttun. Ich empfehle, sich vor der Pension Gedanken zu machen, was man in den ersten Monaten alles tun will. Wenn es dann ein ganzes Jahr dauert, ist es immer noch gut.
Herr Haldimann, wir freuen uns auf Ihren Beitrag am 1. Stammtisch am 26. Oktober 2021 in der Alten Post in Allschwil und danken recht herzlich für das Gespräch.
1. Stammtisch 60Plus mit Vortrag von Urs Haldimann
Personen ab 60 Jahren sind herzlich eingeladen, am 26. Oktober um 19 Uhr in der Alten Post Allschwil an der Oberwilerstrasse 3 Herrn Haldimann bei seinen Tipps für einen zufriedenen Lebensabschnitt im Rentenalter zuzuhören. Wir reden auch darüber, was die Gemeinden Allschwil und Schönenbuch zusätzlich tun können, um das Leben im Alter zu verbessern. Teilnehmen können Personen mit einem Covid-Zertifikat. Wir bitten um Anmeldung per E-Mail an stammtisch@sendias.ch
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